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Das Chaos mit der neuen deutschen Rechtschreibung


So neu ist die neue deutsche Rechtschreibung gar nicht, wie ihre Bezeichnung vermuten lässt. Seit ihrer Einführung ist die Welt der Rechtschreibung allerdings nicht mehr ganz in Ordnung – ein Erfahrungsbericht aus der Unterrichtspraxis.

Die umfassende Rechtschreibereform wurde bereits 1996 durch- und eingeführt; in den Jahren 2004 und 2006 wurde nur noch etwas nachgebessert. Vieles ist einfacher geworden; vor allem für Schülerinnen und Schüler, die die Rechtschreiberegeln von Grund auf lernen. Schwer damit tun sich hingegen die Generationen, die von einen Tag auf den anderen mit den neuen Regeln konfrontiert wurden. Das heisst konkret, dass ein paar Millionen Menschen im deutschsprachigen Raum alles über Bord werfen mussten, was sie über Jahre in ihrer Schulzeit gebüffelt hatten. Über 20 Jahre nach Einführung der Reform herrscht immer noch Unsicherheit.

Sie oder sie? Du oder du?

So ist es nicht verwunderlich, dass mir in meinen Kursen und Lehrgängen noch heute die merkwürdigsten Fragen gestellt werden. Beispielsweise, warum man die Höflichkeitsform mit der neuen deutschen Rechtschreibung abgeschafft habe und nun «Sie» und «Ihre» klein schreiben müsse. Das aber hat die Rechtschreibreform nie beabsichtigt, das ist ein Missverständnis, das bis heute noch nicht überall ausgeräumt ist. Die Kleinschreibung gilt nur für «du», «deine» und «eure». Wobei der Duden die Grossschreibung hier wieder zulässt, was die Sache auch nicht einfacher macht. Er empfiehlt sogar, «Du» wieder grosszuschreiben. Die Krux ist dabei ist, dass ein verbindliches Regelwerk wie der Duden «Empfehlungen» abgibt und dabei mehrere Schreibweisen zulässt.
Allerdings gibt es dazu auch eine Regel. Generell wird das Anredepronomen «du» kleingeschrieben. Die Kleinschreibung gilt darüber hinaus auch für die Formen der Possessivpronomen «dein» und «euer». In Briefen und E-Mails, wenn der Empfänger, die Empfängerin direkt angesprochen wird, kann das «du» auch zum «Du» werden. Umgekehrt aber, in Erzählungen oder Romanen, werden «du» und die anderen genannten Wörter nie grossgeschrieben, da ja hier der Autor nicht den Leser oder die Leserin anredet, sondern der Dialog Teil der Handlung ist, und es sich also nicht um eine persönliche Anrede handelt.

Spazieren gehen oder spazierengehen?

Kopfzerbrechen bereitet auch, wenn zwei Verben aufeinandertreffen, und man sich fragen muss, ob sie nun zusammen oder getrennt geschrieben werden. «Spazieren gehen» oder «spazierengehen»? Richtig ist spazieren gehen. Die Regel dafür: Verbindungen aus Infinitiv (Grundform) und Verb werden immer getrennt geschrieben. Und wie verhält es sich mit kennen lernen? Besser kennenlernen? Der Duden empfiehlt «kennenlernen» – kein Wunder, dass dieses Verb zu den rechtschreiblich schwierigen Wörtern gehört, die der Duden führt. Diesen werden zugeteilt, wenn sie überdurchschnittlich oft falsch geschrieben werden.


Schiffahrt oder Schifffahrt?

Früher hat sich ein kluger Gelehrter oder Sprachwissenschaftler, wie man annehmen muss, wohl an drei Konsonanten hintereinander gestört und flugs eine neue Schreibregel verfasst: Treffen bei Wortzusammensetzungen drei gleiche Konsonanten aufeinander, sind nur zwei zu schreiben (eben: Schiffahrt). Aber das wäre ja zu einfach, darum wurde die Regel noch um eine Schikane erweitert. Folgt auf den dritten gleichen Konsonanten ein weiterer, kann man die drei stehen lassen (Schifffracht). Eigentlich eine völlig unnütze Regel, die den Schreibenden nur das Leben schwermacht (oder schwer macht?) und von der Rechtschreibereform, dem gesunden Menschenverstand folgend, geändert wurde. In neuer Rechtschreibung spielt es also keine Rolle mehr, was folgt, alle Konsonanten – und Vokale – müssen hingeschrieben werden. Hintergrund dieser Neuregelung ist übrigens die Erhaltung der jeweiligen Wortstämme. Richtig sind also Schreibungen wie Fussballländerspiel und Gewinnnummer, aber auch Teeei, Hawaiiinseln und Kaffeeernte. Diese Regelung gilt nicht nur für die Zusammensetzung von Substantiven, sondern auch für Adjektive und Verben. Beispiele sind etwa Kombinationen wie schnelllebig, helllila, stilllegen oder wettturnen – alles nachzulesen im Duden.

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